Morcheln 2008 - 1

24. April, ich hatte einen guten Heimflug. Das einzig Nervige ist, dass meine Gedanken immer wieder zu meinen Morchelstellen wandern. Horrorszenarien von alten vergammelten Pilzen tauchen auf. Mühsam verdrängte ich diese Bilder und stellte mir schöne knackige Exemplare vor. Deren Anblick versetzt mich in Unruhe, wieviele Stunden  muss ich denn noch fliegen? Ein dickes Heft mit Sudokurätseln hilft mir die Gedanken zeitweise zu zerstreuen. Vom Flughafen holt mich mein Sohn ab. Wie im letzten Jahr beschleicht mich auf der Heimfahrt dieses seltsame Gefühl auf der falschen Straßenseite unterwegs zu sein. In den nächsten Tagen werde ich mich beim Autofahren sehr konzentrieren müssen. Nein, in die Pilze gehe ich heute nicht mehr, aber zwei Maschinen voll Wäsche sind zu waschen. Dank der Fürsorge von Elisabeth bringe ich viel saubere Kleidung heim. Um Mitternacht sind sämtliche Reiseutensilien verräumt, die Wäsche auf der Leine. Gut, dass der Tag so lange war, seit halb 4 Uhr morgens bin ich auf, somit schlafe ich wie ein Stein.

Zaghaft öffnen sich die Augen und blicken geradewegs auf den Wecker: 7 Uhr. Etwas dösig erkenne ich, dass ich im eigenen Bett aufgewacht bin. Ich drehe mich um, noch ein halbes Stündchen. Diese Rechnung habe ich ohne die Morcheln gemacht, die sich sogleich in meinem Gehirn manifestieren. An ein kleines Nachnickerchen ist nicht zu denken, ich kann kaum die Augen geschlossen halten. Raus aus den Federn, durchs Bad und dann erst mal gut gefrühstückt. Wohin ich fahre, steht seit 5 Wochen fest. An meinen Platz, der am tiefsten liegt, auf nur 660 ü. NN.

Unglaublich nass ist es im Wald und ebenso unglaublich: Sie haben auf mich gewartet! Meine Morcheln!

Sattlich stehen sie zu Dutzenden am Wegrand. Dort wo die gelben Spitzmorcheln ihren Standort haben gibt es nur zwei Exemplare. Dieses Eck kennen die Schnecken ganz genau. Einige Stellen fallen mir auf, da ist nur noch ein hellgelber Rand des Morchelstieles zu sehen. So schön die ausgewachsen Morcheln sind, länger hätte ich nicht Urlaub machen dürfen.

Hunger schickt mich nach der Ernte heim. Das regelmäßige Essen bei Elisabeth hat mein Magen nicht vergessen. Ich bin schon wieder startbereit um im nächsten Wald meine Morcheln aufzusuchen, da kommt mein Enkel Tim aus der Schule.”Hallo Oma, hast Du Morcheln gefunden?” “Ja!” “Gehst Du nochmal in den Wald? Darf ich mit?” “Klar darfst Du mit.” Aber Tim muss erst Mittagessen und Hausaufgaben machen. Wenn es in die Pilze geht ist mein Enkel sehr schnell. Jedoch erweist sich der Zeitpunkt, an dem wir an Ort und Stelle sind, um Morcheln zu ernten, nicht ideal, es verdunkelt sich der Himmel und ein zehnminütiger Graupelschauer läßt uns nicht mal die Autotür öffnen. Geduldig warten wir bis der Zauber vorbei ist. Dann steigen wir in eine weiße Landschaft und ernten Morcheln, Morcheln, Morcheln.

Kleine Morcheln müssen wir stehen lassen! Ab Montag ist Morcheltreffen und dann wollen meine Freunde auch noch was finden. Meinen Hinweis schätzt Tim nicht besonders. Rundum zufrieden betrachte ich am Abend meine Tagesbeute. Da mich Mittags ein belegtes Brot satt machen musste, wird jetzt geschlemmt. Morcheln in Thymian-Rahm-Soße, feine Nudeln und ein Schüsselchen grünen Salat heben das Lebensgefühl unglaublich.

Samstags schaue ich was die Wertach Auwälder bieten. Das Wachstum der Käppchenmorcheln hat schon begonnen. Ich umgehe meine Speisemorchelecken, damit ich nicht in Versuchung komme. Die Plätze, die meine Konkurrentin an der Wertach kennt sind schon abgeerntet. Trotzdem kann sich meine Beute sehen lassen.

Voriges Jahr habe ich bei Kemnath einen Waldrand mit einzigartigen sehr großen Morcheln entdeckt. Toll sind sie gewachsen. Ganze sechzehn Stück ergeben ein volles Körbchen!

Sonntag bleibe ich mit eisernem Willen daheim. Letzte Putz- und Aufräumarbeiten sind zu machen, die Wäsche muss von der Leine, die ist inzwischen salztrocken. Ab Montag den 28. rollt die Morcheltreffenwelle!

Mein erster Gast ist Bettina! Sie hat den weitesten Weg zu mir: Von der Insel Rügen hat sie sich per Zug aufgemacht.